Was ‚Pino auf den Treppenstufen‘ mit meiner Einstellung zu innerer Gelassenheit und wirklichem Reichtum zu tun hat

Pino auf den Treppenstufen. So nennen wir seit jeher den Mann, der schon immer alt, gleichzeitig aber auch nicht älter zu werden scheint. Er sitzt auf der obersten von drei Treppenstufen vor seiner winzigen Erdgeschosswohnung in einem kleinen Fischerdorf in Süditalien, in dem wir jeden Sommer ein paar Wochen verbringen, und tut nichts.

Natürlich war das nicht immer so. Pino hat den größten Teil seines Lebens gearbeitet. Mit vierzehn Jahren hat er angefangen. Fischfang. Sein ganzes Leben hat er in dem kleinen Ort verbracht, ist nie gereist.

Woher ich das alles weiß? Nicht von Pino, der nur wenig redet du vor allem nicht über sich selbst. Er sitzt lieber da und lächelt. Ich weiß es von Giovannina, die nebenan wohnt und wie ein Wasserfall anfängt zu reden, sobald sie uns sieht. Auch sie hat ihr ganzes Leben in dieser Straße verbracht, als Hausfrau und als Näherin.

Pino auf den Treppenstufen kennt also die Welt nicht. Aber ihm fehlt es an nichts. Das hat er gesagt, es war das einzige, was er je über sich selbst sagt.

Die Welt hat er sich überschaubar gehalten und das reicht ihm.

Pino ist nicht reich, nicht im klassischen Sinne. Er bekommt eine kleine Pension, sein Haus, das aus zwei Zimmern besteht und einmal ein Pferdestall war, ist längst abbezahlt. Essen kauft der auf dem Markt ein paar Straßen weiter, er braucht nicht viel, isst jeden Tag das gleiche: Ein bisschen Fisch, viele Tomaten, Gemüse der Saison und sehr viel Obst.

Er regt sich nie über irgendetwas auf, egal, was es ist: Der Hundehaufen direkt vor seiner Haustür? Er lacht darüber. Die umgeworfene Mülltonne mit den Fischresten, die durch sein Fenster stinken? Auch das ist für ihn ein Grund zum Lachen und abwinken.

Dass er drei Tage kein warmes Wasser hat, weil der Installateur ihn versetzt? Pazienza, sagt er. Geduld. Was soll man machen.

Tag für Tag sitzt Pino da, auf den Stufen vor seinem Haus und beobachtet seine Straße. Ab und zu isst er dabei ein paar Trauben oder gießt die enorme Basilikumpflanze neben seiner Haustür.

Er hatte mal eine Frau, aber sie ist schon vor vielen Jahren gestorben. Das hat ihn damals mitgenommen, sagt Giovannina ungefragt, als sie mir Pinos Lebensgeschichte erzählt. Aber er hat sich gefangen. Er wirkt nicht einsam auf seinen Stufen.

Ich hoffe, dass es Pino noch viele, viele Jahre geben wird, dass er dort sitzen wird, lächelnd, und pazienza sagt. Wegen ihm selbst natürlich. Aber auch aus egoistischen Gründen.

Denn wenn ich ihn betrachte, dann beruhigt sich etwas in mir. Ich frage mich dann, warum ich ständig am Rennen bin, warum ich hetze und mich nach all den materiellen Dingen sehne.

Wenn ich Pino auf den Treppenstufen beobachte, dann verspüre ich einen winzigen Anflug von Neid.

Denn Pino ist vielleicht der reichste Mensch, den ich je kennengelernt habe.

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Comments

One response to “Was ‚Pino auf den Treppenstufen‘ mit meiner Einstellung zu innerer Gelassenheit und wirklichem Reichtum zu tun hat”

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